Johann von Klingenberg, Pfandinhaber der Grafschaft Litschau von 1314 bis 1346, gründete um 1330 bei der bereits bestehenden Marienkapelle in Eisgarn ein Kollegiatstift für einen Propst und fünf Chorherren, eine Institution, die im heutigen Kirchenrecht capitulum collegiatum genannt wird (can 503 CIC 1983).
Im deutschen Sprachraum hat sich dafür der Ausdruck "Kollegiatstift" oder auch "Propstei" eingebürgert. Dieses Kapitel (bzw. Kollegiatstift) war und ist eine Vereinigung von Weltpriestern mit dem Zweck, neben seelsorglichen und kulturellen Aufgaben den feierlichen Gottesdienst durch tägliche Messe und Chorgebet zu pflegen. Als Kooperation, die mit Grundvermögen ausgestattet und von Kirche und Staat als juristische Person anerkannt war, kam diesem Kapitel auf Grund des kirchlichen Rechtes Autonomie zu, derzufolge es berechtigt war, für sich Statuten aufzustellen. Eine der wichtigsten Bestimmungen dieser Statuten ist das Recht der freien Propstwahl, deren sich das Kapitel 1550 zum letzen Mal bediente. Seither hat dieses Recht in Ermangelung eines wahlfähigen Kapitels der Landesfürst bis 1918, und nach dem Ende der Monarchie als deren Rechtsnachfolgerin die Republik Österreich ausgeübt. Ab 1960 erfolgt freie Ernennung durch den Bischof von St. Pölten, wenn kein wahlfähiges Kapitel vorhanden ist.
Das Kollegiatstift wird auch von der heutigen Republik Österreich als "Körperschaft Öffentlichen Rechts" anerkannt.
Aus gelegentlichen Bemerkungen in späteren Urkunden erfahren wir die Insignien der Pröpste:
Brustkreuz an goldener Kette und Ring mit Edelstein (1597, Inventar nach Propst Cornelius);
Almutia bzw. Mozetta werden die Eisgarner Pröpste analog zu anderen Kollegiatstiften wohl ebenfalls getragen haben. Die Pontifikalinsignien Infel und Stab gebrauchen die Pröpste seit 1665. Die Chorherren (oder "Kanoniker") tragen eine Mozetta und darüber ein silbernes Kapitelzeichen.
Die Propstei- und Pfarrkirche Maria Himmelfahrt ist eine dreischiffige, gotische Pfeilerbasilika. Die Länge des Mittelschiffs mit dem Presbyterium beträgt 34m, die Breite über alle drei Schiffe 17m und die Höhe des Mittelschiffs und Presbyteriums etwas über 11m.
Das Presbyterium hat eine Apsis mit 5/8 Schluss und ist 2-jochig. Es ist mit einem zarten Kreuzrippengewölbe eingewölbt; die Rippen haben ein Birnstabprofil. Die Gurtbogen setzen sich als schlanke Dienste bis zum Boden fort und durchdringen dabei ein umlaufendes Kaffgesims. Die drei Schlusssteine in den Gewölbescheiteln der Joche und des Chorschlusses tragen Wappenverzierungen, und zwar einen quergeteilten, schwarzgoldenen Schild und ein sechsspeichiges Rad im Schild als Wappen der Klingenberg, sowie die fünfblättrige Rose als Wappen der böhmischen Rosenberger. Im Chorschluss befinden sich drei schmale hohe Fenster, ehemals mit Maßwerk, deren seitliche den hl. Karl Borromäus und die hl. Anna in neugotischem Stil darstellen. Das mittlere Chorfenster aus dem Jahre 1911 ist eine qualitätsvolle Darstellung der Himmelfahrt Mariens. Das Presbyterium ist so geostet, dass beim Sonnenaufgang am Patrociniumstag (15. August) die Sonne genau durch dieses Fenster scheint. Die zwei nach Süden sich öffnenden Fenster sind von unten her zur Hälfte vermauert und mit neugotischen Teppichmustem verglast.
Nördlich des Presbyteriums befindet sich die alte Sakristei, ein kleiner heute leer stehender Raum. Die gotische Tür, die vom Presbyterium in diese Sakristei führt, hat ein schönes, verstäbte Türgewände.
Der Hochaltar mit dem Gnadenbild von der Immerwährenden Hilfe ist eine neugotische Arbeit und steht auf der ursprünglichen, gemauerten Mensa. Im Presbyterium befinden sich weiters zwei barocke Chorbänke aus der Zeit des Propstes Ezechiel Ludwig Vogel mit schöner Bandelwerkschnitzerei.
Ebenfalls aus der Zeit des Propstes Ezechiel stammt das über der nördlichen Chorbank befindliche Oratorium für die Beamtenfamilien der ehemaligen Grundherrschaft; auch dieses ist reich mit Bandelwerk verziert.
In der Mitte des Presbyteriums zwischen den Chorbänken befindet sich eine kleine Krypta als Grabstätte der Pröpste.
Durch Propst Ignaz III. Stidl wurde eine jährliche Wallfahit nach Eisgarn am Rosenkranzsonntag eingeführt. Gegenstand der Verehrung ist ein 1909 von Papst Pius X. geweihtes Gnadenbild von der Immerwährenden Hilfe Mariens. Die Rosenkranz-Wallfahrt erfreut sich auch heute noch größter Beliebtheit: alljährlich kommen am Rosenkranzsonntag aus der weiteren Umgebung ca. 1ooo Wallfahrer.
DIE WIEDERAUFFINDUNG DER
PROPST-EZECHIEL-GRUFT
im Presbyterium der Stiftskirche
In den archivalischen Unterlagen zur Geschichte der Stiftskirche fand ich immer wieder den Hinweis auf eine von Propst Ezechiel Ludwig geschaffene Priestergruft im Presbyterium.
Propst Ezechiel Ludwig VOGEL (1665 bis 1699) war einer der bedeutendsten Pröpste in Eisgarn. Nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges liess er Stift und Kirche wieder aufbauen, als Seelsorger pflegte er den Colomanicult und die Wallfahrt nach Maria Taferl und gründete eine Jesus-Maria-Josefi-Bruderschaft, kümmert sich auch persönlich und durch Vicare um die incorporierten Pfarren Litschau und Seyfrieds. Als Grundherr liess er die Stiftswirtschaft wieder aufblühen, errichtet eine Mühle, Hoftaverne, Brauerei, Ziegelei und Schäferei und gründet 1680 das "Vordorf Eisgam". Als Gerichtsherr, "Kayserlicher Rat" und NÖ. Landstand hinterliess er ein umfangreiches Archiv, eine wertvolle Quelle zur Geschichte des Stiftes und Ortes Eisgarn.
Die Innenrenovierung bot sich nun als günstige Gelegenheit an, die erwähnte Gruft zu suchen. An der vermuteten Stelle liess ich einige Fliesen des Pflasters entfernen. Wir wurden sofort fündig: Es tauchte eine 1,6 m mal 1,15 m grosse Granitplatte auf, welche folgende Inschrift trägt:
HUNC SIBI
QVIETIS LOCVM
ADHVC
VIVVS ELEGIT
Rmus D: D:
EZECHIEL LVDO-
VICVS
PRAEPOSITVS
HVIVS LOCI
ET
1 6 6 8
FIERI FECIT
(auf Deutsch: "Diese Ruhestätte erwählte sich noch zu Lebzeiten der Hochwürdigste Herr HerrEzechiel Ludwig, Propst dieses Ortes und liess sie 1668 errichten.") Propst Ezechiel liess also bereits im dritten Jahr seiner Amtszeit sein Grab mauern!
Um den Rand der Platte herum befindet sich folgende Inschrift: "Mise-remini mei saltem vos successores mei", auf Deutsch: "Erbarmt Euch meiner, wenigstens ihr meine Nachfolger". Welche Probleme den Propst zu dieser Klage veranlassten, lässt sich nicht mehr genau feststellen.
Nachdem die ca. 900 kg schwere Platte gehoben worden war, gab es mehrere Überraschungen.
Zunächst überraschte die Grösse der Gruft, eine 2,3 m x 2,6 m (rd. 6m2) grosse und ca. 1,6 m hohe, ziegelgewölbte Kammer. Weiters waren statt des vermuteten einen Sarges mit den Gebeinen von Propst Ezechiel nun drei Särge zu sehen! Die dritte Überraschung war eine an der nördlichen Stirnseite befindliche Tafel, welche besagt, dass Propst Ezechiel hier die Gebeine seines am 1o. Jan. 1682 Verstorbenen Bruders bestatten ließ. Es war Franz Theophil Vogel, Pfarrer in Heidenreichstein. In der Pfarrgeschichte von Heidenreichstein war dieser Pfarrer bisher nicht bekannt, so dass mit unserer Entdeckung auch ein kleiner Beitrag zur Heidenreichsteiner Pfarrgeschichte geleistet wurde!
Bemerkenswert war ferner der Umstand, dass die geöffnete Gruft völlig trocken war, ein weiterer Beweis dafür, dass die Ursache für die bisher feuchten Kirchenmauern nicht aufsteigende Grundfeuchte gewesen sein konnte.
Wem die im dritten Sarg liegenden Gebeine gehört hatten, bleibt (vorläufig) unbekannt.
Die Gruft wurde anschliessend so verschlossen, dass die Gruftplatte nunmehr in der Ebene des Pflasters liegt. Die Platte wurde gereinigt, kleinere Schäden durch den Steinmetz behoben und die Inschrift neu eingefärbt. Der Bitte des Propstes Ezechiel, sich seiner zu erbarmen, wurde nun wenigstens durch die Pflege seines würdigen Andenkens wieder entsprochen.-
Unter dem Triumphbogen hängt die schöne Barockkanzel mit Reliefs der vier abendländischen Kirchenväter.
Das Mittelschiff ist 4-jochig und mit einem Kreuzrippengewölbe eingewölbt, dessen Rippen mit Birnstabprofilen an den Hochwänden in Hornabläufen endigen. In das westliche Joch wurde ein barockes Tonnengewölbe mit Stichkappen eingezogen.
An den Hochwänden des Mittelschiffes und Chores stehen auf plumpen Granitkonsolen 13 barocke Sandsteinplastiken der Apostel aus der Zeit des Propstes Joseph I. v. Pallingen. Unter das westliche Joch ist der gotische Musikchor auf einem achteckigen Pfeiler ruhend eingespannt. Die Orgel auf der Westempore besitzt ein prachtvolles hochbarockes Gehäuse von Propst Joseph I. Das heutige Werk wurde 1912 von Leopold Breinbauer aufgestellt.
Das nördliche Seitenschiff ist 2-jochig mit 5/8 Schluss, 14 m lang, 4 m breit und 7 m hoch. Die Rippen des Kreuzrippengewölbes enden in bemerkenswerten Zackenkonsolen. Westlich befindet sich der ehemalige Haupteingang. Der heutige Haupteingang wurde 1930 von Propst Ignaz III. durch den Turm angelegt.
Unter der Westempore steht die außerordentlich schöne, überlebensgroße Steinplastik eines barocken Weihwasserengels aus Zogelsdorfer Sandstein; Propst Joseph I. ließ sie aufstellen.
Im nördlichen Seitenschiff steht jetzt auch der granitene Taufstein aus der Zeit des Propstes Ezechiel. Das Becken des Taufsteines ist außen reich gerippt, wodurch er das Aussehen einer großen Muschel erhält. Die Gestaltung des schönen Holzdeckels entspricht der Schale.
Der Altar des Seitenschiffes
Der Altar des Seitenschiffes, eine Südtiroler Schnitzarbeit, wurde von Propst Ignaz III. angekauft und dient als Krippenaltar und Heiliges Grab.
Das südliche Seitenschiff ist 1-jochig mit 3/8 Schluss, 9 m lang, 4 m breit und 7 m hoch. In ihm befindet sich der Kolomanialtar, ein schöner gemauerter Barockaltar, den Propst Joseph I. aufstellen ließ. Das dazu gehörige Speisgitter ist eine barocke Schmiedeisenarbeit.
An den Pfeilern und Wänden der Seitenschiffe befinden sich Gedenksteine der Pröpste. Die drei Fenster der nördlichen und die zwei Fenster des südlichen Seitenschiffes wurden 1910 in neubarocker Art verglast und zeigen Szenen aus dem Marienleben.
Sehenswert sind folgende Räume:
Die Feststiege ist ein kleines Stiegenhaus, in dem eine gerade, zweiläufige Treppe mit Richtungswechsel in einen Vorraum zum Festsaal und zum Empfangszimmer des Propstes führt. Dieser Vorraum wurde in den Jahren 1979/1980 von Professor Arnulf Neuwirth mit secco-Wandmalereien in der Art der antiken und barocken Groteske ausgestattet. Die drei Themenkreise der Wandmalerei sind: die Musik, die Stiftsgeschichte und die Religion. Der kleine Festsaal besitzt klassizistische Wandmalereien sowie zwei große barocke Darstellungen des Martyriums des hl. Johannes Nepomuk, außerdem vier Tafelbilder mit Allegorien über die Musik von Arnulf Neuwirth.
Anschließend befindet sich das "Pröpstezimmer", ein etwa halbkreisförmiger Raum mit zum Teil barocken und modernen Portraits Eisgarner Pröpste. Nördlich der Feststiege gelangt man in das Empfangszimmer des Propstes, einen barockgotisch gestalteten Raum mit einem großen Barockgemälde des hl. Franz Xaverius und neugotischen Möbeln. Sehenswert ist das große Deckengemälde von Arnulf Neuwirth, eine Allegorie auf "Zeit und Ewigkeit".
Das anschließende nordöstliche "Corneliuszimmer" besitzt sehr interessante, zum Teil unvollständig erhaltene Wandmalereien aus der Zeit um 1590 mit Rüpelszenen und grobianistischen Darstellungen.
Einen Besuch wert ist auch der Stiftskeller im Nordtrakt mit seinem 26 m langen Tonnengewölbe. Er diente bis 1850 als Weinlage für die propsteilichen Weingüter in Unternalb und ist heute ein öffentliches Weinlokal, die "Vinothek Stifterl".
Nicht unerwähnt bleiben sollen auch Archiv- und Bibliotheksraum im Südtrakt mit interessanten Gewölbeformen und schön eingelegten Holzfußböden.
Die Propstei umfasst insgesamt ca. 6o Räumlichkeiten mit einer verbauten Fläche von 1.120 Quadratmetern.